Dies Domini – 3. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Taten erwartet die Welt, Taten statt bloßer Worte. In kleinen und großen Stuhlkreisen aber beraten viele, die in der Kirche Verantwortung tragen, wie es mit dem Werkzeug Gottes in der Welt zukünftig weitergehen soll. Taten erwartet die Welt, Taten statt bloßer Worte. Die Verantwortlichen aber wissen offenkundig nicht, welches Wort jetzt richtig ist; und so beraten sie, die normative Kraft der Tat scheuend, einfach weiter und weiter. Es wird der Tag kommen – und erscheint nicht mehr fern –, da wird sich die Geschichte wiederholen, eine Geschichte, die Paul Herbert Freyer in seinem Tatsachenbericht „Sturmvögel: Rote Matrosen 1918/19“ über die revolutionäre Krise in den Umbruchszeiten nach dem 1. Weltkrieg beschreibt:
„Und da geschah das Unerhörte. Die Massen standen von früh um neun in Kälte und Nebel, und irgendwo saßen die Führer und berieten. Der Mittag kam und dazu die Kälte, der Hunger. Und die Führer berieten. Die Massen fieberten vor Erregung, sie wollten eine Tat, auch nur ein Wort, das ihre Erregung besänftigte. Doch keiner wusste, welches, denn die Führer berieten. Der Neben fiel nieder und mit ihm die Dämmerung. Traurig gingen die Massen nach Hause; sie hatten Großes gewollt und nichts getan, denn die Führer berieten.“
Ähnlich scheint die Kirche der Gegenwart gefangen im ewigen Stuhlkreis der Beratungen. Man beschwichtigt sich mit einer religiösen Sehnsucht der Welt, die statistisch festgestellt merkwürdig folgenlos für das Handeln und Verkündigen der Kirche bleibt. Man zitiert gerne Texte des Aufbruchs, der im Zweiten Vatikanischen Konzil spürbar war, als das Aggiornamento noch gegenwärtig eine frische Brise verheißend sicher keine Revolutionen, doch aber Aufbruch wittern ließ. Der Wind hat sich längst gelegt. Die große Sehnsucht ist da, die Antworten sind aber offenkundig keine mehr. Was nützt es, wenn man das Konzil zu Recht zitierend davon spricht, die Eucharistie sei Quelle und Höhepunkt allen kirchlichen Lebens, aber die Menschen kommen nicht mehr zum Quell des Lebens, weil sie ihren Durst anderswo zu stillen imstande sind. Fragen, die die Menschen stellen, harren auf Antworten, Antworten, die einleuchten. Bloße Behauptungen sind ebenso wenig Antworten wie korrekte Zitate. Hat die Kirche das Streiten mit der Welt verlernt?
Der Glaube muss errungen werden. Er braucht ein Fundament. Quelle liegen immer höher als die Mündungen. Je größer der Fluss, desto höher liegt die Quelle. Um zur Quelle zu gelangen, muss man also einen Aufstieg bewältigen. Um den Höhepunkt zu erreichen, muss man gut ausgerüstet sein. Quelle und Höhepunkt – das sagt sich schnell und einfach. Wo aber ist der Grund, auf dem sich die Suchenden bewegen können. Das Wasser fliegt ja nicht zum Himmel, sondern fließt auf erdigem Grund. Selbst der, der das Wasser des Lebens ist, musste deshalb die Himmel-Erde-Schranke durchbrechen und wie Regen zur Erde kommen. So fällt auch der Glaube nicht vom Himmel, sondern braucht ein stabiles Fundament, in dem man fest stehen kann.
Sehnsucht, Wort und Tat – die Zutaten, auf denen der Glaube wachsen kann. Sehnsucht, Wort und Tat sind die Parameter, die auch in der ersten Lesung vom 3. Sonntag im jahreskreis des Lesejahres C begegnen. Sie berichtet von der Zeit des Volkes Israel nach dem babylonischen Exil. Jerusalem war zerstört worden. Jetzt aber hatte man den Tempel wiedererrichtet. Das Volk aber versammelt sich nicht an diesem heiligen Ort, sondern im öffentlichen Raum:
„Das ganze Volk versammelte sich geschlossen auf dem Platz vor dem Wassertor und bat den Schriftgelehrten Esra, das Buch mit der Weisung des Mose zu holen, die der HERR den Israeliten geboten hat.“ (Nehemia 8,1)
Das ist bemerkenswert: Das Volk lässt sich nicht mit Floskeln beschwichtigen. Es sehnt sich, nein es fordert das Wort Gottes ein. Die Initiative geht nicht von den verantwortlichen Führern aus, sondern vom Volk. Es will hören, hören nicht auf menschliche Parolen, sondern auf das Wort Gottes. Nicht ohne Grund heißt es deshalb bei Paulus im Römerbrief:
„So ist der Glaube aus dem Hören, das Hören aber aus den Worten Christi.“ (Römer 10,17)
Das Wort Gottes ist der Grund, auf dem der Glaube wachsen und gedeihen kann. Nach den Entbehrungen des Exils sehnt sich das Volk Israel vor allem Kult und Gottesdienst deshalb zuerst nach dem göttlichen Wort. Und so brachte
„am ersten Tag des siebten Monats (…) der Priester Esra die Weisung vor die Versammlung, Männer und Frauen und überhaupt alle, die schon mit Verstand zuhören konnten.“ (Nehemia 8,2)
Der erste Vers, der in der ersten Lesung vom 3. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C verkündet wird, hat es in sich. Der in Jerusalem lebende Alttestamentler Till Magnus Steiner bringt es in seinem Beitrag „Radikalität von den Juden und Esra lernen!“ im biblischen Weblog „Dei Verbum“ auf den Punkt:
„Es [gibt] keine elitären Unterscheidungen, keine Sondergruppen, keine Unterschiede. Alle, ‚die schon mit Verstand zuhören konnten‘, egal ob Mann oder Frau, versammeln sich um das als Wort Gottes an das Volk geglaubte Buch.“ (Quelle: https://www.dei-verbum.de/radikalitaet-von-den-juden-und-esra-lernen/ [Stand: 26.1.2019])
Keine Unterschiede im Angesicht des Wortes Gottes und Hören mit Verstand – das sind die Bedingungen, unter denen sich das Volk Israel nach dem Exil restituiert. So wird die Krise zur Chance. Da ist niemand mehr, der zwischen dem Volk und Gott steht. Esra ist zwar Verkünder. Er steht auch erhöht auf einer Kanzel (vgl. Nehemia 8,4a). Es geht aber nicht um seine Autorität; er steht nicht vor dem Wort Gottes. Er ist der nur der Verkünder des Wortes Gottes. Er steht in jeder Hinsicht hinter ihm:
„Esra öffnete das Buch vor aller Augen; denn er stand höher als das versammelte Volk. Als er das Buch aufschlug, erhoben sich alle. Dann pries Esra den HERRN, den großen Gott; darauf antworteten alle mit erhobenen Händen: Amen, amen! Sie verneigten sich, warfen sich vor dem HERRN nieder, mit dem Gesicht zur Erde.“ (Nehemia 8,5f)
Die Szene könnte prototypisch für den Aufbruch der Kirche in der Gegenwart sein. Das Volk, das sich noch versammelt, sollte sich im Angesicht des Wortes Gottes erheben. Die Verkünderinnen und Verkünder aber müssen hinter der Botschaft stehen. Sie sind Verkünderinnen und Verkünder, nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Das Wort des Herrn ist die alleinige Autorität, vor der sich die Glaubenden verneigen. Dabei geht es gerade nicht um das billige Konsumieren abgestandener Parolen. Im Gegenteil:
„Man las aus dem Buch, der Weisung Gottes, in Abschnitten vor und gab dazu Erklärungen, sodass die Leute das Vorgelesene verstehen konnten.“ (Nehemia 8,8)
Ist das nicht der Auftrag des Verkündigungsdienstes? Ist das nicht der Auftrag der Homilie?
Der Wortgottesdienst geht auch in der Heiligen Messe der Eucharistiefeier voraus. Das hat seinen Grund. Quelle und Höhepunkt allen kirchlichen Lebens kann man nur erreichen, wenn man auf dem festen Grund des Wortes Gottes steht. Nicht ohne Grund hat Papst Benedikt XVI deshalb auf die Sakramentalität des Wortes Gottes hingewiesen, die in nichts der Sakramentalität der Eucharistie nachsteht:
„Die Sakramentalität des Wortes lässt sich so in Analogie zur Realpräsenz Christi unter den Gestalten des konsekrierten Brotes und Weines verstehen. (…) Die Verkündigung des Wortes Gottes in der liturgischen Feier geschieht in der Einsicht, dass Christus selbst in ihr gegenwärtig ist und sich uns zuwendet, um aufgenommen zu werden. (…) Christus, der unter den Gestalten von Brot und Wein wirklich gegenwärtig ist, ist in analoger Weise auch in dem Wort gegenwärtig, das in der Liturgie verkündigt wird.“ (Benedikt XVI, Nachsynodales Apostolisches Schreiben VERBUM DOMINI, 2010, Nr. 56, Quelle: http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/apost_exhortations/documents/hf_ben-xvi_exh_20100930_verbum-domini.html#_ftn198 [Stand: 26.1.2019])
Es stimmt: Unabhängig vom Zelebranten stehen immer Leib und Blut Christi auf dem Altar. Vorher aber müssen die Zelebranten mit Vernunft und Verstand das Wort Gottes verkünden und (!) verstehbar auslegen. Hier scheint bisweilen doch ein erheblicher Nachholbedarf zu bestehen. Und das gilt schon für die Messfeier. Das Volk Israel aber befindet sich in der ersten Lesung vom 3. Sonntag im Lesejahr C noch im öffentlichen Raum. Wenn Menschen zu Christus geführt werden sollen, ja, wenn die Kirche wachsen soll, dann muss das Wort Gottes wieder genau hier – im öffentlichen Raum! – verkündet werden. Es muss in die Welt hineininkarniert werden. Dazu braucht es profilierte Verkünderinnen und Verkünder, die hinter der Botschaft stehend, das Wort Gottes mit Herz und Verstand verkünden. Sie müssen die Fragen der Welt beantworten, und auch bereit sein, Antworten auf die erste, zweite und dritte Nachfrage zu haben, Antworten, die verstehbar sind. Sie müssen streitbar sein und mit Tatkraft für den Glauben einstehen. Hört, hört! – wird die Welt dann rufen und bisweilen streiten wollen. Wer aber streitet, ist längst Netz der Kommunikation gefangen. So lasset die Welt nicht, sondern segnet sie und ruft ihr wie Esra zu:
„Nun geht, haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein! Schickt auch denen etwas, die selbst nichts haben; denn heute ist ein heiliger Tag zur Ehre unseres Herrn. Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am HERRN ist eure Stärke.“ (Nehemia 8,10)
Taten erwartet die Welt, Taten statt bloßer Worte. Die Verheißung gilt: Wenn das Wort Gottes zur Tat wird, dann wird auch das Volk Gottes wieder Zulauf haben. Erhebt euch, ihr Verkünderinnen und Verkünder, macht euch keine Sorgen! Steht hinter dem Wort Gottes! Zeigt der Welt, dass die Freude am HERRN eure und unsere Stärke ist. Wer das erkennt, der steht da und kann nicht anders! Verkündet den Weg zur Quelle des Lebens – und das Wasser wird überreich sprudeln!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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